OLG Hamm präzisiert die Anforderungen an die gemeinsame Sorge nicht verheirateter Eltern

Das OLG Hamm hat die Anforderungen an die gemäß § 1626a BGB zu treffenden Sorgerechtsentscheidungen für Kinder nicht miteinander verheirateter Eltern präzisiert. Anlass war ein Sorgerechtsstreit nicht verheirateter Eltern betreffend ihren im Jahre 2006 geborenen Sohn. Die Kindeseltern lebten zunächst in Gelsenkirchen in nichtehelicher Lebensgemeinschaft zusammen. Sie trennten sich im Jahre 2013, wobei die Kindesmutter mit dem Kind in der Folgezeit ins Oldenburger Land verzog. Zuvor hatten sich die Eltern in einem ersten familiengerichtlichen Verfahren auf ein dem Kindesvater zustehendes Umgangsrecht mit dem Kind verständigt. Nach der Trennung beantragte der Kindesvater beim zuständigen Familiengericht zudem, beiden Elternteilen das gemeinsame Sorgerecht und ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind einzuräumen. Der Antrag blieb in erster Instanz erfolglos.

Auf die Beschwerde des Kindesvaters hat das OLG Hamm die erstinstanzliche Entscheidung des Familiengerichts bestätigt. In der Begründung seines Beschlusses hat der Senat die Anforderungen an eine gemäß § 1626a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu treffende Sorgerechtsentscheidung präzisiert: Nach der gesetzlichen Regelung stehe die elterliche Sorge für das Kind zunächst allein der Kindesmutter zu (§ 1626a Abs. 3 BGB). Auf Antrag eines Elternteils übertrage das Familiengericht die elterliche Sorge beiden Eltern gemeinsam, wenn die Übertragung dem Kindeswohl nicht widerspreche (§ 1626a Abs. 1, Abs. 2 S. 1 BGB). Letzteres werde vom Gesetz vermutet, soweit der andere Elternteil keine entgegenstehenden Gründe vortrage (§ 1626a Abs. 2 S. 2 BGB). Mit dieser seit Mai 2013 geltenden Fassung formuliere das Gesetz eine ʺnegativeʺ Kindeswohlprüfung für die Anordnung einer gemeinsamen elterlichen Sorge nicht verheirateter Eltern. Es setze voraus, dass auch eine erstmalige Einrichtung der gemeinsamen Sorge dem Kindeswohl nicht widerspreche. Das erfordere eine hinreichend tragfähige soziale Beziehung zwischen den Kindeseltern, ein Mindestmaß an Übereinstimmung zwischen ihnen sowie ihre grundsätzliche Fähigkeit zum Konsens. Demgegenüber habe die Alleinsorge der Kindesmutter bestehen zu bleiben, wenn – über eine schwerwiegende und nachhaltige Störung der elterlichen Kommunikation hinausgehend – die Kindeseltern keine das Kind betreffenden, gemeinsamen Entscheidungen finden könnten und das Kind durch eine gemeinsame elterliche Sorge erheblich belastet würde. Die Entscheidung für eine gemeinsame elterliche Sorge sei eine Prognoseentscheidung, da die gemeinsame Sorge bis zum Zeitpunkt ihrer erstmaligen Anordnung noch nicht bestanden habe und in Fällen, in denen die Kindeseltern nicht zusammengelebt hätten, auch faktisch noch nicht ausgeübt worden sein müsse. Entsprechende Erfahrungswerte stünden dann nicht zur Verfügung. Deswegen dürften die Zugangsvoraussetzungen zu einer gemeinsamen Sorge nicht zu hoch angesetzt werden. Es lasse sich möglicherweise nicht immer sicher prognostizieren, dass zwischen Eltern jegliche tragfähige soziale Beziehung fehle und ein Mindestmaß an Übereinstimmung nicht erzielbar sei, sodass es hinzunehmen sein könne, dass ggf. erst nach einer Phase der „Erprobung“ festzustellen sei, ob die erstmals angeordnete gemeinsame elterliche Sorge tatsächlich funktioniere. Allerdings sei die Grenze da zu ziehen und die alleinige Sorge der Kindesmutter vorzuziehen, wo es gänzlich an einer Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit und/oder der entsprechenden Bereitschaft der Kindeseltern fehle und voraussichtlich auch mit professioneller Hilfe keine Aussicht auf Besserung bestehe. In diesem Fall sei davon auszugehen, dass bereits eine Phase des Erprobens der gemeinsamen elterlichen Sorge dem Kindeswohl schade. Gemessen an den vorstehenden Kriterien komme die Anordnung der gemeinsamen elterlichen Sorge im zu entscheidenden Fall nicht in Betracht. Der Senat habe ein familienpsychologisches Sachverständigengutachten eingeholt und die Beteiligten persönlich angehört. Hieraus habe sich ergeben, dass die Kindeseltern bis heute – 3 Jahre  nach ihrer endgültigen räumlichen Trennung – hoch zerstritten seien. Beiden fehle die Fähigkeit zur Selbstreflexion und zu einem Aufeinanderzugehen, bei dem eine dem Kindeswohl nicht widersprechende zukünftige Ausübung einer gemeinsamen elterlichen Sorge zu erwarten sei. Die Anordnung einer gemeinsamen Aufenthaltsregelung scheide ebenfalls aus. Beiden Kindeseltern fehle bereits ein verbindliches Einvernehmen im Bezug auf den Alltagsaufenthalt des Kindes. Einem Modell mit häufiger wechselnden Aufenthaltsorten des Kindes stehe zudem die Entfernung der Wohnorte der Kindeseltern entgegen.

Pressemitteilung des OLG Hamm
Beschluss des OLG Hamm vom 24.05.2016 (3 UF 139/15)